28 Lug Von der Wichtigkeit der Vernunft
The special “The Remains of Regensburg” is edited by Gabriele Palasciano. Text by Klaus von Stosch.
Wenn wir heute, 10 Jahre nach der Regensburger Rede, auf die Situation der Welt schauen, merken wir schnell, wie bedrückend aktuell die Mahnungen des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. für die heutige Situation sind. Ja, man wird sagen müssen, dass sie an Gegenwartsrelevanz sogar noch zugenommen haben. Insgesamt drei seiner Mahnungen möchte ich deshalb gerne in Erinnerung rufen.
Erstens ist es bemerkenswert, wie vorbehaltlos und nachhaltig sich Benedikt für den Dialog der Religionen und Kulturen ausspricht. In einer Zeit, in der unterschiedlichste Weltdeutungen in unvermittelter Weise aufeinandertreffen, kann nur die Ausbildung einer Kultur des Dialogs und der Verständigung helfen, um die aus der Verschiedenheit der Geltungsansprüche und ihrem wechselseitigen Nichtverstehen resultierenden Konflikte zu bearbeiten. Den christlichen Theologien wächst hierbei eine neue Rolle zu. Sie müssen den christlichen Glauben nicht mehr nur in eine säkulare Welt hinein übersetzen und mit ihr in einen fruchtbaren Dialog treten. Neben atheistischen und agnostischen Weltanschauungen sind es heute vor allem die anderen Religionen, die herausfordernd das christliche Selbstverständnis hinterfragen. Es muss sich also eine neue Theologie ausbilden, die sensibel für spezifisch interreligiöse Anfragen ist und gesprächsfähig im Blick auf andere Glaubende Zeugnis vom Gott Jesu Christi gibt. Mit seinem Eintreten für den Dialog ermutigt Benedikt die Theologinnen und Theologen also zu einem dialogischen und komparativen Neuaufbruch, der den Anliegen und Anfragen anderer Religionen, insbesondere des Islams, zentralen Raum im eigenen Theologietreiben gibt. Wenn die Theologie diese Aufgabe nicht klarer als ihre eigene Hauptaufgabe begreift und annimmt, lässt sie eine Herausforderung von historischem Ausmaß ungenutzt, die Benedikt bereits vor 10 Jahren in seinen Konturen erkannt hat.
Zu Recht besteht der damalige Papst darauf, dass der Dialog nicht als unverbindlicher Meinungsaustausch betrieben wird, sondern sich kriterial an der Vernunft zu orientieren hat. Damit die Vernunft an dieser Stelle ihre orientierende Kraft entfalten kann, kommt alles darauf an, dass sie wieder eine Weite gewinnt, die die Gottesfrage zu stellen und diskursiv zu erörtern vermag. Benedikt mahnt uns also – und das scheint mir eine zweite weiterhin beherzigenswerte Einsicht seiner Rede zu sein –, dass sich die Vernunft wieder für Fragen der Religionen öffnet. Damit will er die Vernunft keineswegs religiös vereinnahmen. Denn gerade eine vom Glauben unabhängige Vernunft kann als glaubwürdige Maklerin im Gespräch der Religionen fungieren und ihre Anliegen auch in einer säkularen Welt in angemessener Weise explizieren. Auch redet er nicht einer bestimmten, womöglich vormodernen Vernunftauffassung das Wort. Zwar erinnert er an die große Synthese des biblischen Denkens mit der griechischen Philosophie. Aber er ergreift in diesem Kontext nicht Partei für ein bestimmtes metaphysisches System, sondern lädt uns einfach nur ein, den letzten Fragen der Vernunft nicht länger auszuweichen, sondern diese ernst zu nehmen. […]