12 Mag Die Regensburger Rede als Zeugnis des Übergangs
The special “The Remains of Regensburg” is edited by Gabriele Palasciano. Text by Hermann Häring*.
Im Gedächtnis der römisch-katholischen Kirche hat die Regensburger Rede nachhaltige Spuren hinterlassen. Muslime empörten sich über den Vorwurf eines gewalttätigen Islam, Theologen klagten über die Kritik an ihrem Handwerk, Seelsorger bedauerten das Ungeschick eines Theologen, der eine akademische Vorlesung zu nahe in ein programmatisches, geradezu normatives Papstwort rückte. Am unglücklichsten war wohl Papst Benedikt XVI. selbst, der sich unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Rom intensiv mit dem Kitten entstandener Scherben beschäftigen musste. Dabei kam wieder der Gelehrte in ihm zum Zuge, als er die Rede nachträglich mit 13 Anmerkungen versah, bevor sie weltweit auf dem Buchmarkt erschien. Eine kurze, nicht unwichtige Bemerkung wurde eingefügt. Im gedruckten Text erklärte Benedikt XVI. jetzt, Manuel II. Palaiologos, 1391-1425 byzantinischer Kaiser und ein hochgebildeter Mann, habe seinen vom Papst übernommenen Diskussionsbeitrag „in unannehmbar schroffer Form“ vorgetragen.
- Ein unaufgearbeitetes Erbe
Damit wollte der Papst den Eindruck abmildern, er halte den Islam für eine gewalttätige Religion. Eindeutig widersprochen hat er ihm jedoch nicht und bald bestätigte Joseph Fessio SJ, ein Schüler Professor Ratzingers aus den USA, dass dessen Vorbehalte in der Sache doch irgendwie begründet seien. Aber genaue Auskunft war nicht zu erhalten. Bis heute ist der Schleier der Interpretation nicht gelüftet. Bei einer offiziellen Zusammenkunft mit muslimischen Botschaftern am 25. September 2006, also 13 Tage nach dem Regensburger Ereignis, gelang es dem Papst, den schwelenden Brand zu löschen. Längerfristig hatte diese Affäre sogar ihr Gutes, denn sie führte schon am 13. Oktober zu dem versöhnlichen Brief von 138 muslimischen Gelehrten, Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch, den man nur historisch nennen kann. Deutlicher hätte sich die prekäre Schnittstelle zum Islam ebenso wenig zeigen können wie die oft rätselhafte, teils wissenschaftliche, teils belehrende Art, auf die Benedikt XVI. reagiert. Vermutlich hat dieses Missgeschick – bewusst oder unbewusst – mit der theologischen Prägung von Benedikt XVI. zu tun, der seine drei Bände „Jesus von Nazareth“ (2006-12) unter dem Doppelnamen Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. herausgab.
Allerdings spielt diese Kontroverse für den Inhalt der Regensburger Rede eine untergeordnete Rolle. Deren zentrale Themen sind ja die universale Geltung und einzigartige Göttlichkeit des Logos sowie die unverzichtbare Bedeutung des Hellenismus für den christlichen Glauben. Sprachlich war sie unprätentiös und von hoher Klarheit; ob ihrer intellektuellen Brillanz und schnörkellosen Gedankenführung macht sie ‑unabhängig von persönlichen Überzeugungen – noch heute einen großen Eindruck.
Die Regensburger Rede bringt den Logos [das Wort] Gottes als Kriterium und zentrales Medium des christlichen Glaubens zur Geltung; wer wollte dieser Absicht widersprechen. Dabei greift der Papst auf unleugbare Argumente zurück. Allerdings polarisiert diese Rede noch heute; sie lässt enorm große Interpretationsräume offen, denen sich eine eindeutige Auseinandersetzung stellen müsste. Auf der anderen Seite spricht aus der Rede eine hohe Sensibilität für die Erdbeben, die die Kultur des Abendlands seit Beginn der Neuzeit durchlaufen hat. In diesem Sinn ist es ihr gelungen, von der Epoche der Reformation vor inzwischen 500 Jahren bis in die Gegenwart hinein einen großen Bogen zu spannen, mehr noch, die Hellenisierungsprozesse mit in den Blick zu nehmen, denen sich das Christentum vom 1. Jahrhundert an gestellt hat. Was aber ist der Nenner, der diesen großen Überblick erlaubt und was sind die Stationen, die in der Rede herausgegriffen werden? Ich nenne die Stationen ihrer Themenführung und die ungeklärten Fragen, die dabei übergangen werden. […]
*Prof. em. Dr. Hermann Häring (geb. 1937): Studium der Philosophie und der Theologie in Tübingen (1970 Promotion, 1978 Habilitation in Theologie); 1980-2005 Prof. für systematische Theologie und Wissenschaftstheorie in Nijmegen (Niederlande); Arbeiten zu ökumenischen und hermeneutischen Fragen, zum Bösen bei Augustinus und zur Theologie von Hans Küng. Mehrere Veröffentlichungen zur Theologie von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.